Niemals vergessen!
Bezirksvorsteher Marcus FRANZ und die Interreligiöse Dialoggruppe Favoriten luden zur
Gedenkveranstaltung anlässlich der Pogromnacht und der Zerstörung der Vereinssynagoge am Humboldtplatz 1938 ein.
Hier die Worte von Pfr. Johannes Wittich, evang. reformierte Pfarrgemeinde Wien Süd, Wielandplatz
Psalm 133:
1Ein Wallfahrtslied. Von David.
Sieh, wie gut und schön ist es,
wenn Brüder beieinander wohnen.
2Wie das köstliche Öl auf dem Haupt,
das herabrinnt in den Bart,
in den Bart Aarons,
der herabwallt auf den Saum seiner Gewänder.
3Wie der Tau des Hermon, der herabfällt
auf die Berge Zions.
Denn dort gewährt der Herr den Segen,
Leben bis in Ewigkeit.
Liebe zum Gedenken Versammelte!
„Sieh wie gut und schön ist es, wenn Brüder – ich ergänze: und Schwestern – beieinander wohnen.“
Ein Satz, wie gesagt, aus dem Buch der Psalmen, einer Sammlung von Gebetsliedern in den heiligen Schriften des Judentums. Im Christentum gilt dieses Buch der Psalmen als Vorbild, wie in unserem Gottesdienst gebetet und gesungen werden kann. Johannes Calvin, der Reformator der Kirche, aus der ich komme, war sogar der Meinung, dass im christlichen Ritus, in der christlichen Liturgie nur und ausschließlich nach dem Vorbild der Psalmen gebetet werden soll. Mit anderen Worten: ein christliches Gebet, so seine Meinung, ist nur dann richtig, wenn es sich am jüdischen Vorbild orientiert.
Warum ich das sage? Weil wir heute an einem Ort stehen, der uns an die schreckliche Ereignisse aus dem November 1938 erinnert, bei denen Christen, oder aus der christlichen Tradition kommende Menschen genau das Gegenteil davon gemacht haben, was ihnen ihr Glaube eigentlich gebietet: dem jüdischen Glauben Wertschätzung und Dankbarkeit entgegen zu bringen für das, was heute, aus dem Judentum kommend, auch Grundlage des christlichen Glaubens ist.
Im interreligiösen Dialog hier in Favoriten versuchen wir seit gut einem Jahrzehnt voneinander zu lernen, Vielfalt, besonders religiöse Vielfalt, als Bereicherung zu sehen. Das schließt auch aus, den eigenen Glauben, so wichtig er einem persönlich oder als Gemeinschaft sein mag, über den Glauben Anderer zu stellen.
An diesem Ort hier, und an vielen anderen Orten im damaligen „deutschen Reich“ haben auch Christinnen und Christen, die sich nicht direkt an den Gräueln beteiligt haben, Schuld auf sich geladen. In der Erklärung „Zeit zur Umkehr“ der evangelischen Kirchen in Österreich aus dem Jahr 1998 wird, in Einklang mit der katholischen Kirche bekannt: „Mit Scham stellen wir fest, dass sich unsere Kirchen für das Schicksal der Juden und ungezählter anderer Verfolgter unempfindlich zeigten. … (sie) haben gegen sichtbares Unrecht nicht protestiert, sie haben geschwiegen und weggeschaut, … Deshalb sind nicht nur einzelne Christinnen und Christen, sondern auch unsere Kirchen an der Schoah mitschuldig geworden.“
Wir sind uns im Interreligiösen Dialog in Favoriten bewusst, dass Religion Ursache für entsetzliches Leid sein kann. Christlicher Antisemitismus, oder islamistischer Terror sind Beispiele dafür. Wir sind uns dieser Last bewusst, wissen aber auch gleichzeitig um die starken und inspirierenden Bilder, die in unseren jeweiligen religiösen Traditionen den Weg zu einem guten Miteinander der Menschen zeigen wollen: Schalom, Salaam, Friede …
Bilder wie das aus dem 133. Psalm: gut und schön ist es, wenn Menschen, die sich als Brüder und Schwestern verstehen, beieinander wohnen. Dass Menschen so miteinander umgehen, sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein.
In diesem Augenblick versuchen wir das ein wenig zu leben. Die Geschichte um das Gebäude der Vereinssynagoge, an dessen Zerstörung wir heute denken, ist auch so ein religionsverbindendes Statement. Entworfen wurde sie vom jüdischen Architekten Jakob Gartner, der auch einige andere Synagogen errichtet hat. Nicht nur das – auch das „Kaiserin Elisabeth-Wöchnerinnenheim“ in der Knöllgasse stammt von ihm. Und dort hat heute Privatgymnasium „Phönix“ sein Zuhause – eine muslimische Gründung.
Ein friedliches Miteinander verschiedener Religionen, nicht nur eine Vision, sondern eigentlich eine Selbstverständlichkeit.
Fotos: Franz Radner